«Ich bin in den letzten zehn Jahren sehr viel um die Welt gereist. Und egal wo, wenn ich erwähnt habe, dass ich in der Schweiz lebe, hatte jeder gleich ein klares Bild davon, wie es in der Schweiz aussieht.» So berichtet der deutsche Fotograf Patrick Lambertz von seinen Begegnungen mit den Stereotypen, welche viele Menschen über die Schweiz im Kopf haben. Sie reichen von Nobelkarossen bis zum Käsefondue und führen direkt zu den romantischen Châlets aus Holz in der heilen Heidi-Bergwelt. Das hat ihn interessiert, denn seinen Alltag in der Schweiz erlebt Lambertz viel differenzierter. Nämlich viel bodenständiger und authentischer als diese Vorstellungen es suggerieren. Bei der Beschäftigung mit dem manifestierten Klischee des Schweizer Châlets hat Patrick Lambertz festgestellt, dass das Wort – von lateinisch cala – eigentlich nur «geschützter Ort», also eine Hütte oder ähnliches, bedeutet. Damit begann vor vier Jahren sein Projekt.
Begonnen hat alles mit Châlet #1, welchem er auf einer Wanderung durch die winterliche Landschaft des Kantons Schwyz – die Kamera ist immer dabei – begegnete. Es war die Lösung für sein Problem, die innere Schönheit und den Charme der Häuser, welche in der Landschaft oder am Dorfrand stehen und die ihm aufgefallen waren, hervorzuholen und zu dokumentieren. Sie sind zum Teil verfallen, oft nicht aus Holz und bedienen nicht das gängige Klischee. Mit dem Haus in Oberegg, im Schnee, bei bewölktem Himmel, war die Lösung für die Umsetzung da: «Das ist der Weg. So möchte ich die Häuser auf eine Bühne stellen.» Die Natur wird zum Studio, der Schnee und die Witterung zeichnen ein weiches Licht. Mit dieser Technik löst er die Châlets aus ihrem Umfeld heraus, nichts lenkt den Blick des Betrachters ab und es setzt einen bewussten Fokus. Patrick Lambertz nimmt sich die Freiheit heraus, die Fotografien am Computer nachzubearbeiten, die Häuser bleiben authentisch, werden lediglich von Ablenkungen «befreit». So werden Charakterzüge sichtbar, die sonst im Verborgenen bleiben. Die meditative Stimmung, welche Patrick Lambertz auf seinen einsamen Wanderungen erlebt, wird durch seine Bilder zum Ausdruck gebracht. Nicht nur für ihn, sondern auch für den Betrachter werden sie zu einer Flucht aus dem Alltag.
Die Fotografien der Châlet-Serie sind in kurzer Zeit ein grosser Erfolg geworden. Weltweit wird berichtet und Sammler kaufen die limitierten Bilder, welche in einer Reihe von Ausstellungen gezeigt werden. Der Betrachter ist tief berührt, spürt eine Verbindung zum Dargestellten, entdeckt eine feine Ironie, politische Aspekte. Die Bilder sind nicht egal, lassen nicht kalt; sie bewirken eine Auseinandersetzung. Auch wenn die Châlet-Serie längst nicht abgeschlossen ist – zur Zeit sind es dreissig Motive; das Ziel sind 90, aus denen dann ein Buch entsteht –, arbeitet Patrick Lambertz bereits an einer neuen Serie, die seinen Ansatz weiter verschärft. Mit «Architektur der Jagd» greift er ein archaisches Thema der Menschheitsgeschichte auf, das die unterschiedlichsten Reaktionen hervorruft: nostalgische Kindheitserinnerungen oder Assoziationen zu Wachtürmen. Manche fühlen sich provoziert, kritische Fragen werden diskutiert, die vielen Facetten der Jagd, ihre sozialen Komponenten treten hervor. Die tiefe Bedeutung in den Fotografien von Patrick Lambertz gilt es auch in seiner neuen Serie zu erkunden. Für unsere Jubiläumsausgabe hat Patrick Lambertz einen exklusiven Vorabdruck gestattet.