Eine Reise nach Saudi Arabien. Na ja, werden Sie sagen und unweigerlich an verschleierte Frauen in schwarzen Gewändern, weiss gekleidete Ölscheichs und Kamele im Wüstensand denken − vielleicht noch an 1001 Nacht-Exotik. Diesem Land, in dem Frauen gerade erst die Erlaubnis zum Autofahren erhalten haben, eine Abkehr von seinem traditionellen Dasein zuzutrauen, fällt schwer. Das ging auch mir so, als ich nach Riad aufbrach. Und doch wird man manchmal überrascht: Denn das Emirat meint es ernst mit dem Motto «Weniger Öl, mehr Tourismus». Und spätestens auf dem Inlandsflug nach Al’Ula, wo Niqabs und Burkas abgelegt werden und bedeckte Zurückhaltung plötzlich fröhlichem Plaudern weicht, wird klar: Hier ist man auf dem Weg in ein neues Zeitalter. Dieses beginnt in der Wüstenstadt Al’Ula, dem Schauplatz des Festivals «Winter at Tantora». Allerhand Attraktionen wollen künftig Besucher aus aller Welt locken. Ich bin gespannt.
Für einen Überblick über die rund 1.100 km nordwestlich von Riad gelegene Oasenstadt Al’Ula besteigen wir eine historische Beech 18. Röhrend kreisen wir über einer so einmaligen Landschaft, dass sie auch die Welt- und Weitgereisten von uns zum Staunen bringt. Unter uns ragen bizarre Sandsteinformationen aus dem Wüstensand und bilden zahllose Canyons, hier und dort von grünen Fingern aus Tausenden von Dattelpalmen durchzogen. Unser deutscher Pilot erklärt uns die Hotspots dieser neuen Lifestyle-Region, welche nach der erklärten «Vision 2030» der Royal Commission of Al‘Ula den Auftakt für die neue Tourismusoffensive bilden: die historische Altstadt von Al’Ula, welche gerade renoviert wird und noch nicht zugänglich ist; die Maraya Concert Hall mit ihrer futuristischen Spiegelarchitektur; die Open Air-Ausstellung mit Installationen zeitgenössischer Kunst. Und Hegra, bedeutende Kulturstätte und UNESCO Weltkulturerbe. Unmittelbar in die spektakuläre Natur eingebettet liegen die Übernachtungsmöglichkeiten. Da gibt es komfortable Hotelzimmer, luxuriös eingerichtete Zeltcamps und die festivaltypische Unterbringung in original Airstream RVs. Einen der silberglänzenden Wohnwagen beziehe ich für die kommenden Tage. Hier wohnt es sich zwar etwas beengt, und das nächste Mal würde ich statt Coachella-mässiger Lässigkeit den Luxus im Zelt vorziehen. Doch die atemberaubende Kulisse lässt ein paar Kompromisse in Sachen Komfort schnell vergessen.
Es ist heiss und staubig. Für die Fahrt hätten wir standesgemäss einen Rolls-Royce der neuesten Generation buchen können – schliesslich sind wir im Land der Ölscheichs –, haben uns aber doch für den Landrover entschieden. Nun stehen wir direkt vor einer der bedeutendsten Ausgrabungsstätten der Welt: den Felsgräbern von Hegra. Eine etwa zehn Meter hohe Fassade, glatt und mit Gesimsen geschmückt, bildet das Portal zur höhlenartigen Grabkammer. Weit mehr als zehn Meter misst ein ganz anderes Monument in Al'Ula: Der Elephant Rock wurde allein von der Natur geschaffen. Sehr gerne setze ich mich am Fuss des goldenen Riesen in einen der Loungesessel, geniesse Fingerfood und eine Shisha.
Mit inbrünstiger Leidenschaft performt Leila Forouhar ihre aktuellen Lieder; die iranische Sängerin mit ihrer blondierten Mähne und den feurigen dunklen Augen ist im arabischen Raum ein gefeierter Star. Ihr Liveauftritt in der vor kurzem eröffneten Maraya Concert Hall ist deshalb ein echtes Programmhighlight, der Saal entsprechend gut gefüllt. Ein wenig Unerfahrenheit in Sachen Entertainment merkt man dem Publikum dann doch an, das sich während der Pause in der Halle an Häppchen und Getränken stärkt. Renommierte Künstler wie Opernstar Andrea Bocelli oder Musiker Omar Khairat sind hier bereits aufgetreten; zukünftig sollen in der Halle neben Musikkonzerten auch internationale Events, Feierlichkeiten in grossem Rahmen oder Businesskongresse stattfinden. Weit mehr als der Gesang fasziniert mich aber die Bühne, welche mit technischer Innovation beeindruckt: Eine nach hinten durchgehend verglaste Rückwand gibt den Blick frei auf die umgebenden Felswände, auf denen Lichtprojektionen und Schattenspiele eine magische Kulisse zeichnen. Das Gebäude selbst ist ein Statement moderner Architektur, der Name perfekt gewählt, denn Maraya ist das arabische Wort für «Spiegel». Weit weg von der erwarteten opulenten ornamentalen Pracht wurde hier im Wüsten-Nirgendwo ein futuristisch anmutender Glaskubus errichtet, aus dem Kontrast und Zeitgeist sprechen. Das Design aber kann mehr als nur modern sein: Bei Tageslicht reflektiert das gesamte Bauwerk umseitig seine umgebende Natur, scheint mit ihr zu verschmelzen und macht aus dem mächtigen gläsernen Block eine Fata Morgana. Das spannende Architekturkonzept stammt aus dem italienischen Architekturdesign-Haus Giò Forma und bezieht einzelne bauliche Facetten auf die Bauweise der Nabatäer. Unbestritten steht hier ein einzigartiges Gebäude in einer einzigartigen Landschaft. Die Verflechtung von Natur und Kultur – und damit die erklärte Vision für Al’Ula – ist gelungen. Das nächste Highlight in Sachen Zeitgeist wartet schon: die zeitgenössischen Kunstinstallationen von Desert X. Der Name sagt Ihnen nichts? Das ist die amerikanische Initiative, die mit ihren Ausstellungen im kalifornischen Coachella Valley für Aufsehen sorgt.
Echt schräg: Mitten in der kargen Wüstenlandschaft stehe ich im pinkfarbenen Zentrum einer zweigeteilten Pyramide aus blauen Kunststoffpaletten, die hier in den Himmel ragt. Ein Stück weiter glänzen scheinbar zufällig hingeworfene, metallisch glänzende Röhren wie von Ausserirdischen zurückgelassen im Sand. Umgeben vom felsigen Sandstein türmt sich ein Hügel im Sand auf, kreisrund, wie aus verschlungenen Bändern gemacht. Dort hinten wollen sich in den Boden eingelassene Trampoline als überdimensionale Pfützen verstanden wissen, in welche man herzlich gerne springen darf. Jede der einzelnen Installationen auf dem Al'Ula Ausstellungsgelände ist pure Faszination und schlägt die Brücke zur Geschichte und Kultur der Region. Desert X Al'Ula wurde von Desert X zusammen mit der Royal Commission of Al'Ula initiiert und von internationalen Künstlern umgesetzt. Was im bohemian-geprägten Kalifornien schon die Kunstwelt bewegte, wird hier zum Auftritt des gänzlich Unerwarteten. Für mich allerdings steht fest: Die hier von der Natur geschaffenen Werke stehen denjenigen der Künstler in nichts nach.
Sie zählt klar zu den eindrucksvollsten Installationen von Desert X Al'Ula: Najma, die aus der Zukunft kommende blaue Astronautin, die auf einem von Wind und Wetter gezeichneten jahrtausendealten Sandsteinfelsen thront, um uns Astronomie und Navigation zu lehren. Vielleicht, weil die Skulptur eine Frau darstellt, vielleicht auch durch die unmittelbare Verbindung mit der Natur gelingt es der Künstlerin Lita Albuquerque mit dieser Inszenierung uns auf ganz besondere Weise aufzurütteln, uns in neuen Dimensionen denken zu lassen.
Partystimmung, wie wir sie kennen: Auf der Open Air-Bühne gibt der legendäre Jean-Michel Jarre Electro- und Synthy-Pop zum Besten, an der Bar herrscht grosser Andrang, topgestylte junge Leute lachen und flirten in der VIP-Lounge. Wären da nicht die Felsen als Projektionsfläche für die Lightshow und die alkoholfreien Drinks, könnten wir fast vergessen, dass wir hier in der saudischen Wüste sind, genauer gesagt auf dem Azimuth-Festival. Azimuth ist ein Feier-Feuerwerk mit Musik, Tanz und Gastronomie-Vielfalt. Es markiert den Saisonabschluss in Al'Ula – und ist gleichzeitig die Verheissung auf mehr. Ja, der Start für den touristischen Aufbruch Saudi Arabiens ist gemacht, das Ziel einen Besuch wert – und noch ein Geheimtipp.
Vision 2030 – Eighth Theme:
Develop the Tourism and National Heritage Sectors
In dem Wissen, dass Zukunft und Wohlstand des Landes nicht mehr nur auf den Erdölvorkommen ruhen, hat Saudi Arabien mit seiner «Vision 2030» ein nationales Strategieprogramm aufgesetzt. Es beschreibt den Weg für eine Transformation des Landes, das so aus dem Schatten seines abgeschiedenen Daseins hinaustreten, sich neu aufstellen und Anschluss an die heutige Zeit finden will. Die Initiativen, welche von staatlicher Seite gemeinsam mit privaten und gemeinnützigen Organisationen erarbeitet wurden, mündeten in einem Realisierungsprogramm mit insgesamt acht Schwerpunkten. Eines dieser zentralen Themen der Agenda ist die Öffnung des Landes für den Tourismus und die Wiederbelebung der nationalen Kulturstätten. Wie andere arabische Länder will sich das Königreich zum attraktiven Ziel für Besucher aus aller Welt etablieren – ganz nach dem Vorbild von Dubai oder Abu Dhabi, die jedes Jahr Millionen von Touristen anziehen. Damit erreicht Saudi Arabien nicht nur das Ziel, zahlreiche neue Arbeitsplätze für die junge Bevölkerung im Land zu schaffen und wirtschaftlich an einem höchst profitablen Markt zu partizipieren. Es ist auch eine Gelegenheit, die Welt an der spannenden Kultur des Landes teilhaben zu lassen, die weit mehr umfasst als Wüsten, Oasen und Scheichs. Es ist eine Welt aus jahrtausendealter Geschichte, spektakulärer Landschaft und Menschen, die Traditionen wahren und gleichzeitig offen für die Zukunft sind. Den Anfang dieser Vision macht nun Al'Ula.
Hegra
Seit dem 4. Jh. v. Chr. war die Nabatäerstadt wichtiges Zentrum an der Handelsroute. Davon zeugen die archäologischen Funde der 100 monumentalen, in die Sandsteinfelsen gemeisselten Grabstätten. Auch die 1908 eröffnete, vom deutschen Ingenieur Meissner entwickelte Hedschasbahn, welche Damaskus mit Medina verband, belegt die Bedeutung der zum UNESCO Weltkulturerbe zählenden Stadt.
Elephant Rock
Er ist riesig, er ist rau und er ist definitiv eine der aussergewöhnlichsten Naturformationen der Welt: der Elefantenfelsen. Zur Festivalsaison findet man hier einen wunderbaren Ort, um den Tag ausklingen zu lassen, einen (alkoholfreien) Drink zu nehmen oder eine Kleinigkeit zu essen. Und dabei dieses unglaubliche Farbenspiel zu beobachten, das sich je nach Tageszeit in anderer Pracht präsentiert. Grossartig.
Maraya Concert Hall
9.740 Quadratmeter Spiegelflächen brachten ihr den Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde: Die Maraya Concert Hall in Al'Ula ist das grösste verspiegelte Gebäude der Welt. Mit seiner Architektur setzt der Glaskubus neue Massstäbe: Seine Fassaden reflektieren die umgebende Landschaft und lassen das Landmark Building fast unsichtbar werden. Ausgestattet mit modernster Licht-, Sound- und Bühnentechnik finden hier eindrucksvolle Konzerte arabischer und internationaler Künstler vor einem 500-köpfigen Publikum statt.
Desert X
Wüstenkultur und interkultureller Dialog: Das ist die Vision der gemeinnützigen amerikanischen Künstlerorganisation Desert X. Nach dem Erfolg in Kalifornien setzt Desert X die Ausstellungsreihe zeitgenössischer Kunst, bei der die Wüstenlandschaft zur Leinwand für Installationen internationaler Künstler wird, fort: Desert X Al’Ula und die Royal Commission of Al‘Ula geben Künstlern erstmals in Saudi Arabien eine Bühne für ihre Werke.
Azimuth
Jeweils an den Wochenenden flankiert das dreitägige Azimuth-Event das Al'Ula-Winterfestival. Hier fliessen östliche und westliche Kulturen zu-sammen – mit Open Air-Konzerten internationaler Künstler und DJs, mit Gastronomie-Vielfalt und Ausgelassenheit. Ein weiteres klares Signal für Saudi Arabiens Aufbruch in die Neuzeit.